Mini-München findet STADT! 2020

Zum 40. Jubiläum musste sich Mini-München neu erfinden – mit 100 Betrieben, 4 Stadtteilen und an 40 Orten in ganz München.

Mitten in die Vorbereitungen für die 4ojährige Jubiläumsspielstadt Mini-München im Showpalast, einem ehemaligen Vergnügungsgelände für Kinder und Familien, fiel das durch die Corona-Pandemie bedingte Verbot aller kulturellen Großveranstaltungen. Das bedeutete das Ende der geplanten Spielstadt Mini-München mit zum Teil bis zu 2500 Teilnehmer:innen täglich.

Nach reiflicher Überlegung und Diskussion entschieden wir uns gegen eine Absage und für eine neue konzeptionelle Herausforderung: Die räumliche Aufteilung Mini-Münchens bei gleichbleibendem Spielprinzip. Doch wie kann das Stadtspiel organisiert werden, wenn es an vielen Orten gleichzeitig stattfindet? Wie entstehen die Verbindungen, Spielhandlungen und Sinnzusammenhänge, die Mini-München ausmachen? Wie werden gemeinsame Entscheidungen getroffen, und wie werden Spielhandlungen über den einzelnen Ort hinaus wirksam? Und die wesentliche Frage: Spielen die Kinder bei so einem Mini-München mit?

Eine vorläufige, aber eindeutige Antwort auf diese Frage gaben die 30 Kinder und Jugendlichen in der Mini-München Planungswerkstatt, die Ende Mai hauptsächlich über Zoom durchgeführt wurde. Mit Begeisterung und Einfallsreichtum nahmen sie sich des neuen Planungsauftrags an und entwickelten beispielsweise Konzepte für Verkehrsverbindungen, Essensversorgung und Telefonkommunikation. Damit war auch der Auftrag an die Organisator:innen klar: Gesucht waren eine Vielzahl von Orten und
Räumen, in denen sich die Prinzipien einer Spielstadt durchgängig so abbilden
ließen, dass sie als gemeinsames, kollaboratives Handlungsfeld für
alle Mitspieler:innen erkennbar würden.

Ein neuer Stadtplan entsteht

Eine Spielstadt braucht viele, qualitativ unterschiedliche Orte und Räume, bezüglich Größe, Art ihrer Nutzung und Ausstattung. Die „Spielstadt unter einem Dach“ (also an einem Ort) kann solche für sich selbst entwerfen und inszenieren und in direkter Abstimmung festlegen. Die Suche nach fremden und geeigneten Orten in der Stadt war ungleich aufwändiger. Viele Einrichtungen hatten selbst mit den Folgen des Shutdowns zu kämpfen. Letztlich war es nur die Hilfe von langjährigen Kooperationspartner:innen und vor allem den engagierten Mitarbeiter:innen der Münchner Stadtverwaltung, die die Ortssuche zum Erfolg führten. Die Vielfalt der Spielorte kann an dieser Stelle nur angedeutet werden. Ihre Auswahl unterlag neben dem Machbarkeitskriterium einem strategischen Kalkül, welches der Überschreibung des realen Stadtplans folgte: Neben Flächen im Freien, in Parks und auf Plätzen (überbaut mit Zelten, Containern, Hütten), waren es vor allem authentische Orte – also größtenteils Räume, die auch im echten Stadtleben eine bestimmte Funktion für die Stadt übernehmen (Museen, Bibliotheken, Läden, Galerien und vor allem das Rathaus), Stadtteilkulturhäuser, eingeführte Kinder- und Jugendkultureinrichtungen mit starkem Bezug zum jeweiligen Stadtteil und zu den Kindern vor Ort, sowie offene Veranstaltungsorte, die relativ variabel bespielbar waren. Darüber hinaus sollten die Orte gut erreichbar und untereinander mit öffentlichen Verkehrsmitteln verbunden sein. Die Einteilung der Spielstadt in Stadtviertel (Ost/ Nord/ Mitte/ West) ergab sich aus der Lage der Orte, die uns zur Verfügung standen. Auf einem eigenen Mini-Münchner Stadtplan waren sie abgebildet und mit einer Legende hinsichtlich ihrer Funktionen im Spiel erklärt. Der Stadtplan bot die Grundlage für Mini-München findet STADT!

MüTiVi Kurzfilm –
Eindrücke aus Mini-München findet STADT!

Eine Stadt mit vier Vierteln

 

Erwartungsgemäß entwickelten die Spielbereiche innerhalb eines Stadtteils jeweils eine starke Eigenständigkeit, trotz einer signifikanten Zuschreibung ihrer Funktionen im Gesamtspiel, durch die eine frei wählbare, wechselnde Bespielung durch die Kinder angeregt wurde: Hochschule, Forschung und Kunstakademie waren im Norden angesiedelt, ebenso das Klimazentrum, das Reisebüro, die große Fahrrad- und Bootsbauwerkstatt im Olympiapark. Handwerkerhöfe gab es im Ostpark und im Westen, hier hatte auch das Redaktionsbüro der Stadtzeitung seinen Sitz. Bibliothek, Fernsehen und Filmwerkstatt waren im Kulturzentrum Gasteig zu finden. Und Rathaus und Stadtplanungsbüro waren rund um den Marienplatz angesiedelt.

 

Jedes Stadtviertel hatte in zentraler Lage ein Bezirksamt zur digitalen Registrierung aller Kinder und für die Ausgabe des Stadtausweises, zum Abwickeln von Lohnauszahlung und aneren Online-Bankgeschäften, einen Kiosk zum Verkauf der hergestellten Produkte und von Essenstüten, welche in einem Cateringservice von Kindern hygienisch verpackt wurden. Ein permanent auf fester Route kreisender Autoservice und ein dezentral und stadtteilweit organisierter Fahrradservice, den Erwachsene übernahmen, sorgte für den für Mini-München typischen Kreislauf von Waren, Dienstleistungen (z.B.
frisch gewaschene „Dienstkleidung“ für Müllabfuhr, Gärtnerei, Forschung), von Post (Briefe und Päckchen) und Essen. Das (echte) städtische Abfallwirtschaftsamt entsorgte zweimal die Woche ihre Container, welche die spielstadteigene Müllabfuhr täglich befüllte.

Mini-München stadtweit vernetzt

Alle Spielbereiche und Orte mussten zwangsläufig online sein, was zum Teil mit erheblichem technischen Aufwand verbunden war. So
konnten die Kinder jederzeit auf die neu entwickelte Mini-München-Onlineplattform zugreifen und sie waren zusätzlich mit einer eigens installierten Telefonanlage vernetzt. Diese verband sämtliche Betriebe der Spielstadt über eine von Kindern unterhaltene Zentrale. Das Onlinesystem für die unterschiedlichsten Anwendungsfunktionen entwickelte eine Gruppe ehemaliger Mini-München-Kinder, die aus ihrer aktiven Teilnahme die Spielstadt
bis ins Detail kannten und die damals schon an einem Online-Banking-System tüftelten. Gelöst werden konnte damit nicht nur die Sicherung der durch das Hygienekonzept verpflichtenden Datenerhebung (Registrierung der Kinder), es wurde gleichzeitig ein Jobvergabe- und Bezahlsystem eingerichtet, das den sonst üblichen Papierverkehr erheblich erleichterte und minderte. Es entstand außerdem eine sich selbst stimulierende Kommunikationsplattform, auf der alle Betriebe mit eigenen Internetseiten präsent waren, die E-Mail-Verkehr untereinander ermöglichte und die Produktionen der Mini-München-Medienbetriebe (Radio, Fernsehen, Zeitung) in Echtzeit abbildete. Bei den Kindern, die an den Schaltstellen der Spielstadt das Computersystem bedienten, löste dies ein anderes, professionell affiziertes Nutzungsverständnis wie Kommunikationsverhalten aus. Das
eigene Mobiltelefon wurde dazu selbstverständlich mit genutzt, aber es gab auch genügend Möglichkeiten für Kinder online zu partizipieren, die über kein eigenes Mobiltelefon verfügten oder es vorzogen, in der Gemeinschaft daran teilzuhaben.

 

Zur gemeinsamen Veranstaltung am letzten Tag kamen die Kinder aus allen Stadtteilen der Spielstadt mitten in München auf dem zentralen
Marienplatz zusammen, mit Bannern, typischen Requisiten und in ihren „Berufsbekleidungen“ und feierten den Abschluss einer gelungenen
20. Ausgabe von Mini-München.

Aus Veranstaltersicht war das Fazit eindeutig: Das Wagnis, Mini-München ganz anders zu spielen, hat sich gelohnt. Die stärkere Ausbreitung im Stadtraum hat besonders interessante Impulse mit sich gebracht. Mit der Dauer der Spielstadt wuchs auch die Mobilität der Kinder zwischen den Orten innerhalb der „Stadtteile“ und – für uns überraschend! – darüber hinaus. Mehr als der Hälfte der teilnehmenden Kinder und Jugendlichen (nahezu 13.000) wurde elternseits zugetraut, sich selbständig in der Stadt zu bewegen. Die Erfahrungen laden ein, das Zusammenspiel von München und Mini-München weiter zu befragen. Wie kann die Spielstadt auch in Zukunft den Stadtraum tangieren und als öffentlichen Raum für Kinder qualifizieren? Wie und wodurch werden Kinder so als Akteure sichtbar, jenseits rigider, zugewiesener Schonräume – und als Teil der städtischen Gesellschaft wahrgenommen?

Einige Erfahrungen und Überlegungen aus Mini-München findet STADT sind in der oben verlinkten Projektdokumentation festgehalten. Die Fragen, die das dezentrale Stadtspiel aufgeworfen hat, begleiten uns im Planungsprozess für die nächste Ausgabe Mini-Münchens im Sommer 2022!